Generation Smartphone

Die Rolle der sozialen Medien in unserem Alltag und die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz beschäftigen uns schon lange. Es ist tatsächlich interessant, inwieweit die Entwicklung dieser Innovationen künftig unser Reiseverhalten beeinflussen werden. Hierzu lesen wir zwei neu erschienene Sachbücher, die in das komplexe Thema allgemein einführen.

Der Historiker Yuval Noah Harari bietet mit seinem neuen Bestseller „Nexus“ eine Orientierungshilfe an. In einer kurzen Geschichte der Informationsnetzwerke zeigt er die fundamentale Bedeutung von Narrativen auf, die in Büchern verfasst wurden und heute durch das Internet im Umlauf sind und aktualisiert werden. Die künstliche Intelligenz ist die erste Technologie, die in der Lage ist, unser Geschichtsverständnis zu ändern, selbständig Entscheidungen zu treffen und autonom Ideen zu entwickeln. Welche dramatischen Konstellationen sich in diesem Zeitalter am Horizont zeigen, ist das Thema seines Buches.

Hararis Ausgangspunkt ist zunächst die Bestimmung des naiven Informationsverständnisses, das im Sammeln von Informationen einen direkten Weg zur Wahrheit, Weisheit und Macht sieht. Hierher gehörte das alte Versprechen des Internets, uns einen Zugang zu unbegrenztem Wissen zu gewähren. Ein populistisches Informationsverständnis begreift in dem Potenzial, Fakten zu verbreiten in erster Linie eine Umsetzung von Machtoptionen. Der Informationsfluss der Spätmoderne ermöglichte dabei die Massendemokratie und den Massentotalitarismus. Das komplexe Informationsverständnis versteht den notwendigen Zusammenhang von Wahrheit und Ordnung, die die Macht jeder Weisheit relativiert.

Der Historiker erinnert daran, dass „weil ihnen Ordnung wichtiger ist als Wahrheit, die menschlichen Informationsnetzwerke oft viel Macht, aber wenig Weisheit hervorgebracht haben“. Die Information informiert nicht unbedingt über die Dinge. Sie formiert sie.

Mit dem Ziel der Steigerung der Nutzerbindung bevorzugen soziale Netzwerke vor allem negative Meldungen. Die Algorithmen fanden mittels Versuche an Millionen von Nutzern heraus, dass Empörung eben diese Bindung erzeugt. Die politischen Folgen dieser Firmenphilosophie sind fatal. Sie trägt dazu bei, ein neues Gesellschaftssystem zu schaffen, das die niedersten Instinkte fördert und uns davon abhält, das gesamte Spektrum unseres Potenzials auszuschöpfen.

Auf der Ebene dieser Gefahr ist es immerhin noch der Mensch selbst, der Programme schreibt und steuert, aber auch beendet. Noch können wir also aktiv eingreifen: Das Verbot von automatisierten Nutzern, die massenhaft fragwürdige Informationen streuen, ist dabei eine logische und umsetzbare politische Forderung. Warum ist es zum Beispiel nicht möglich, zu verlangen, dass nur reale Personen, mit entsprechender Verantwortlichkeit, ihre Meinungen in den Informationsstrom einfließen lassen?

Die Lösung der Probleme, die aus der Anwendung von künstlicher Intelligenz entstehen, ist deutlich komplexer und besteht darin, dass alle Möglichkeiten der Selbstkorrektur dieser Systeme schwieriger werden. „Ein Informationsnetzwerk, das von anorganischen Computern beherrscht wird,“ schreibt Harari, „wäre auf eine Weise anders, wie wir uns das kaum vorstellen können. Es sind weniger die autonom handelnden Roboter der Science-Fiction-Literatur, die uns hier Sorge machen sollten, sondern eher die subtile Verdrängung jeder menschlichen Eingriffsmöglichkeiten“.

Die künstliche Intelligenz eröffnet zum Beispiel völlig neue Dimensionen der Überwachung. In der Quantenmechanik verändert der Akt der Beobachtung subatomarer Teilchen deren Verhalten, das Gleiche gilt für den Akt der Observation von Menschen. Je leistungsfähiger die Beobachtungsinstrumente sind, desto größer ist ihre potenzielle Wirkung auf unsere Aktionen in einer – angeblich – freien Gesellschaft. Paradoxerweise ist für das Überleben der Demokratie eine gewisse Ineffizienz der Überwachung ein Vor- und kein Nachteil. Um die Freiheit des Einzelnen und die Privatsphäre zu schützen, ist es am besten, wenn weder die Politik noch mein Arbeitgeber alles über mich weiß. Unter den Bedingungen der Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz wird diese Realität für BürgerInnen in weite Ferne rücken.

Eine der größten Neuerungen, die sich aus der Anwendung der KI ergibt, ist ihre Fähigkeit der Mustererkennung in der Analyse gigantischer Datenmengen. Viele Technologien und Systeme, die gesellschaftlichen Verhältnisse an sich, werden so komplex, dass sie von einem Einzelnen nicht mehr verstanden werden. Schon heute entscheiden Computerprogramme über die Kreditwürdigkeit von Bankkunden, beeinflussen unsere Reiserouten, erfinden neue Finanzprodukte, bestimmen in den USA das Strafmaß von Verbrechern oder ermöglichen die Massenüberwachung des Verhaltens von Passanten mit Videokameras. Die Pointe ist dabei, dass die Anbieter (geschweige denn die Nutzer) dieser Intelligenz selbst nicht mehr erklären können, wie ihr Computer, der die verbindlichen Ergebnisse produziert, zu seinen Resultaten kommt.

Das zweite Buch, dass wir hier kurz vorstellen wollen, beschäftigt uns in erster Linie als Eltern und Großeltern. Jonathan Haidt zeigt in seiner Untersuchung „Generation Angst“ die ganze Palette der psychologischen Probleme, von Depressionen bis zu Konzentrationsstörungen, die das Leben junger Menschen erfasst hat. Das Erziehungsmodell der Moderne sieht er in einer grundsätzlichen Krise. Auf der einen Seite werden Kinder und Jugendliche behütet, mit dem Ziel sie von allen realen Gefahren und Risiken des Alltags zu schützen. Andererseits kümmern wir uns zu wenig um die Abgründe der virtuellen Welt, auf die sie mithilfe ihrer Smartphones treffen. Diese „paranoide Erziehung“ ist für den Autor eine Folge des Zusammenbruches der Solidarität unter Erwachsenen. Die Bildung unserer Kinder wird zunehmend eine Privatsache oder zur Staatsaufgabe. „Wenn aber Erwachsene sich heraushalten und einander nicht mehr bei der Kindeserziehung unterstützen“, schreibt Haidt, „sind alle Eltern auf sich allein gestellt“.

Das Erziehungsproblem ist für den Wissenschaftler eine solidarische Aufgabe, mit dem Ziel, den Einfluss der virtuellen Welt, insbesondere auf junge Menschen, zurückzudrängen. Die langfristigen Gefahren der Transformation von Jugendlichen zu Nutzern und Konsumenten sind offensichtlich: „Social-Media Plattformen sind die effizientesten Konformitätsmaschinen, die jemals erfunden wurden“ urteilt der Autor.

Neben konkreten Forderungen zum Schutz der Nutzer gegenüber den Netzwerkangeboten sieht er in der Einübung von Spiritualität ein echtes Gegengewicht. Entsprechende Lehren fördern eine Gegenwelt zu dem Erfahrungsraum sozialer Medien. Im Mittelpunkt dieser existentiellen Erfahrungen stehen weder die Angst oder ein permanenter Informationsfluss, sondern das Vertrauen. Die Vermittlung von Ehrfurcht bewirkt zum Beispiel neurophysiologische Veränderungen, einen geringeren Fokus auf das Selbst und ein gesteigertes Empfinden von Sinnhaftigkeit.

Arno Kleinebeckel beschreibt das grundsätzliche Problem der „Generation Smartphone“ auf Telepolis: „In den internetbasierten Parallelwelten wandelt sich die Conditio humana unserer Jugend auf beängstigende Weise. Die schillernde Utopie einer gigantischen Leere, das ist ihr neues Zuhause. Ein verpixeltes, de-realisiertes Zuhause, eines, das den Anschein von Sein erzeugt, aber in Wahrheit unsere Kinder zu Phantomen macht.“

Literatur:

Jonathan Haidt, Generation Angst: Wie wir unsere Kinder an die virtuelle Welt verlieren und ihre psychische Gesundheit aufs Spiel setzen, Rowohlt Verlag 2024

Yuval Noah Harari, Nexus: Eine kurze Geschichte der Informationsnetzwerke von der Steinzeit bis zur künstlichen Intelligenz, Penguin Verlag, 2024