Licht und Schatten in Collioure

Auf längeren Reisen bestaunt man die Natur, bewundert das Land, das Meer, die Städte und träumt an besonderen Orten. Ab und zu stellen wir uns auch die Möglichkeit vor, den Hausschuh längerfristig abzustellen. So geschehen in Collioure, dass wir auf der Fahrt an der Küste entlang von Portbou in Richtung Perpignan entdecken.

Den Hausschuh stellen wir an einem kleinen Campingplatz am Strand Ouille ab und laufen am Morgen über die Klippen in die Künstlerkolonie an der Cote-Vermeille. Die Landschaft ist geprägt von Licht, Schatten und dem Mittelmeer. Hier hat Henri Matisse zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zu seiner Begeisterung, ein unvergleichliches Blau gefunden und eine Malschule, den Fauvismus, begründet.

In dem Dorf setzen wir uns zunächst in ein schattiges Café und lassen die Atmosphäre auf uns wirken. Über den Zirkel rund um Matisse lesen wir: „Was sie vereinigt hat, war der Einsatz von schimmernden Farben, auf der Suche nach einem neuen Ausdruck. In Anwendung eines neuen Konzepts des Lichts, vereinfachten sie die Linien und lehnten Perspektiven ab, um einen mehr poetischen Raum zu schaffen.“

Wir besuchen den alten Friedhof der Stadt. Hier begegnet uns wieder der Lyriker Antonio Machado (1875-1939), der hier nach der Flucht aus dem spanischen Bürgerkrieg seinen Frieden gefunden hat und dessen Lektüre uns ein Buchhändler in Sevilla empfahl. Am Grab staunt man über einen gefüllten Briefkasten mit Briefen, die die Verehrer des Dichters hinterlassen.

Der Gang durch die Gemeinde überrascht mit immer neuen Perspektiven, auf das Meer, in schattige Gassen hinein, auf die Burg, die Weinberge, die Bergketten und – von einer vorgelagerten Insel, gegenüber der Wehrkirche, auf das ganze Ensemble. Das königliche Schloss teilt, wie man von hier aus sieht, den Ort in zwei Teile.

Wir besuchen die Brasserie des Templiers am Hafen, ein dunkler, geschmackvoll mit Ledersesseln eingerichteter Raum. Gegenüber der einem Schiffsrumpf nachgebildeten Theke und halten wir vergeblich Ausschau nach einem Picasso oder Matisse. Vor einigen Jahren hing eine Auswahl von Gemälden, insgesamt über 2000 Werke, mit denen diverse Künstler ihre Rechnungen beglichen, teilweise an der Wand. Beim Blick durch das Fenster auf die Terrasse erinnert man sich wieder an Matisse, das Zusammenspiel des Lichts und der Farben ist überwältigend.

Am Ende des Stadtstrandes mit seinen Palmen klettern wir schwitzend die Stufen zur Mühle hinauf und werden mit einem einmaligen Blick auf das Meer und die Gegend belohnt. Anschließend besuchen wir das kleine Kunstmuseum am Fuß des Berges. Hier wird das Andenken an zahlreiche Maler und Malerinnen gepflegt, die diese Landschaft und ihre Menschen in ihren Werken spiegeln. Die polnische Malerin Mela Muter (1876-1967) widmet eines ihrer melancholischen Bilder zwei Senegalesen, die hier im 1. Weltkrieg ihren Dienst schoben. Das Schicksal des jüdischen Künstlers Otto Freundlich (1878-1943), der in seinem Exil denunziert wurde und in einem Konzentrationslager der Nazis umkam, erschüttert bis heute.

Die einmalige Landschaft ist die Kulisse tragischer Geschichten. Die österreichische Widerstandskämpferin Lisa Fittko (1909-2005) organisierte im Nachbarort unter Anderen die Flucht des Philosophen Walter Benjamin, der sich in Portbou erschöpft das Leben nahm, nach Spanien. Das Gleichnis, oder sagen wir, das Geheimnis von Licht und Schatten, hier in Collioure empfindet man es.

Auf dem Heimweg begleitet uns der Grabspruch Machados:

Und wenn der letzte Tag der letzten Reise gekommen ist,
Und das Schiff, das nie zurückkehren wird, dabei ist abzulegen,
Werdet ihr mich leicht beladen an Bord finden,
fast nackt, wie die Söhne des Meeres.