Vor einigen Jahrzehnten waren wir zum ersten Mal in Mostar. Der Eindruck, die von Bergen eingerahmte Stadt, mit ihren Kirchen und Moscheen, blieb in Erinnerung.
Heute sitzen wir in der Herbstsonne und lesen ein Reisetagebuch des österreichischen Schriftstellers Robert Michel. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war er als Soldat in der Stadt stationiert. Einfühlsam beschreibt er die alltäglichen Riten der Muslime, ihre Beerdigungen und Hochzeiten und das Treiben der Händler. Er schärft unseren Blick auf ein erstaunliches Phänomen: Jeder Moschee-Garten in Mostar ist von einer bestimmten Baumart und dem Gesang unterschiedlicher Vögel geprägt.
Über die Hauptmoschee schreibt er zum Beispiel: „Als Gegenstück zu dem lichten Minarett erhebt sich an der anderen Seite der Kuppel eine dunkle Zypresse. So haben die meisten Moscheen einen oder mehrere Bäume, die mit ihrem lebendigen Bau ein holdes Widerspiel geben zu der steinernen Ruhe der grauen Minarette. Und in den Zweigen beherbergen diese Bäume jene Vögel, die sich dem Schutz des heiligen Ortes anvertrauen.“
Mostar ist eine Stadt voller Geschichten. An vielen Häusern sind noch die Spuren der Bosnienkriege der 90er Jahren zu sehen. Die alte Brücke, die sich in einem halbkreisförmigen Bogen über die Neretva spannt, – einst Symbol für das friedliche Zusammenleben verschiedener Kulturen – wurde zerstört und erst 2004 wieder eingeweiht. „Eine unsichtbare Mauer“ verlaufe durch den Ort, die Serben, Bosnier und Kroaten trennt, lesen wir im Reiseführer. Von diesen Spannungen spüren wir auf unseren Spaziergängen wenig – die Stimmung ist gelassen.
Unser Stellplatz liegt ideal, nur 100m von der Brücke entfernt. Auf der Terrasse kann man die besondere Atmosphäre Mostars auf sich wirken lassen. Wir sehen von hier auf das osmanische Handwerksviertel mit seinen Gassen. Und wir werden Zeuge, wie ein junger Mann – eine Mutprobe – sich von der Brücke in die eiskalten Fluten stürzt.
Literatur:
Robert Michel, Mostar, Dobra Knjiga Verlag, Sarajevo 2006