Zeit in Céret

„Die Sinne deformieren, der Geist formt.“ Georges Braque

Nach einem intensiven Aufenthalt in Collioure fahren wir nur ein kurzes Stück in das benachbarte Pyrenäen-Städtchen Céret. Wir sind ein wenig erschöpft und stellen den Hausschuh auf einem kleinen Campingplatz ab. Ein Idyll mit einer Buddha-Statue, dessen Versprechen auf Erholung nur das schrille Hündchen des Nachbarn konterkariert, eine Kreatur, die mit großer Leidenschaft alles anbellt, was sich bewegt. C´est la vie: Es bleibt der geordnete Rückzug in die Stadt.

Wir besuchen das Museum der modernen Kunst, dem Kubismus gewidmet, und staunen ein neues Mal, auf wie viele unterschiedliche Weisen man die Welt abbilden und erfahren kann. Die Magie der Formen, die Hochzeit des Lichts, Abstraktion und Stillleben, präsentiert von den großen Köpfen der Kunstszene. Uns gefällt ein kurzes Video, das Picasso bei der Formung von Ton mit seinen begabten Händen zeigt. Eine Sammlung von Wandtellern, die Szene eines Stierkampfes zeigen, hat er nach seinen Aufenthalten der Stadt geschenkt.

Im Grand Café fällt unser Blick auf eine Werbetafel, die an einer Apotheke angebracht ist. Ein Krankenzimmer, hygienisch und steril gestaltet, mit einem offenen Fenster in einen Wald, erschreckt jeden, der etwas älter wird. Es gilt die Stimmung zu bewahren. Dazu dient ein Foto an einer Kühltheke hinter uns, eine Szene aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts, die eine Gruppe von Männern mit Hüten darstellt. Wir erinnern uns wieder an ein Bild aus dem Museum, das Picasso, Braque und Bruno an dem gleichen Ort zeigt. Pioniere der Kunst, die lachend das Leben feiern.

Auf dem Spaziergang gefällt uns, dass die Stadt geerdet wirkt, es gibt den Tourismus, die Spuren der Künstler, aber ebenso eine angenehme Alltäglichkeit. Eine ältere Dame überreicht uns ein Pamphlet einiger Bürgerinitiativen, die die Verschandelung der Landschaft beklagen. Ihr Anliegen wendet sich gegen die Politik des „toujours plus“ der regionalen Behörden. Die absurd anmutende Zahl von kleinen Maklergeschäften zeigt einen Trend an. Vermutlich werden hier Siedler beworben, die an den astronomischen Kaufpreisen der Küste verzweifeln. Das regt zum Träumen an: mit einer Vespa durch die Sonne fahren, die lokale Küche genießen, im Café sitzen, ankommen, vielleicht.

In der Rue des Évadés bleiben wir vor einem großen Haus mit geschlossenen Fensterläden stehen: das alte Atelier von Braque und Picasso. Zu unserer Überraschung sind zwei Klingeln mit deren Namen versehen. Man ist versucht, sie zu benutzen, um zu sehen, wer hinunterkommt.

Durch die Altstadtgässchen laufen wir einen Hügel hinauf zu einem anderen Künstlerdomizil. Hier hat Pierre Brune, der Begründer des Museums, sich 1916 niedergelassen. Der Maler baute sein Haus auf den Resten eines Schlosses, das „Castellas“, wo er einige Jahre später seine Künstlerfreunde empfing. In der Ferne umrahmen drei Bergspitzen der Pyrenäen, die majestätisch in der Herbstsonne leuchten, die malerische Szene.

André Salmon, der Schriftsteller und Kunstkritiker, der das Städtchen mit dem Titel „Mekka des Kubismus“ versehen hat, schreibt ein paar Zeilen über Brune, die in der deutschen Übersetzung für uns nur schwer zu fassen sind. Sie lauten – so hören wir die Sätze subjektiv und in freier Auslegung – etwa so:

„Pierre Brune, der um Gewissheit bemüht ist, will vor allem seinen Weg erkennen. Er hat keine Angst, diese große Reise zu verzögern, um sich Klarheit zu verschaffen. Wenn er auch keinen formellen Plan anbietet, das Königreich zu erobern, so gelingt ihm zumindest eine harmonische Himmelskarte, die für eine Orientierung notwendig ist.“

Für uns ist das Städtchen ein neuer Orientierungspunkt im Süden Frankreichs.