2024: Warum reisen?

2024: Hinter uns liegt ein spannendes Reisejahr. Der Start verlief anders als geplant. Im Frühjahr standen wir mit dem Hausschuh in Genua am Mittelmeer und planten, nach Frankreich zu reisen. Die Launen des Wetters erzwangen einen Richtungswechsel. Zum Glück erlauben Touren mit dem Wohnmobil spontane Entscheidungen, sodass wir nie genau wissen, wohin die Reise führt.

Das Schicksal führte uns in den Süden von Italien. Besonders der Aufenthalt am Golf von Neapel war ein Höhepunkt dieser Reise. Die Insel Capri erlebten wir „schrecklich-schön“ (siehe unseren damaligen Blogeintrag) und Neapel werden wir uns sicher bald noch einmal genauer anschauen. Es ist manchmal sinnvoll, eine Stadt unvorbereitet zu besuchen, also ohne Vorkenntnisse. Wir lesen dann später zu Hause oft Bücher über die Reiseziele, erweitern das Wissen und lassen diese neu gewonnenen Einsichten mit unseren Erinnerungen verschmelzen.

Ein Buch, das wir auf dieser Fahrt vermisst haben, war Goethes italienische Reise. Wir halfen uns damit aus, das zeitlose Prinzip des Weimarer Dichterfürsten zu vergegenwärtigen: die Lehre der Metamorphose. Das Bewusstsein über die stete Veränderung von allem, was ist, die Verwandlung eigener Ansichten und Perspektiven gehört für uns zum Glück des Reisens.

Im Sommer war es dann schön unsere Reiseerfahrungen und Goethes Berichte – über Natur, Kunst und Leute auf seinen Stationen – in einem Vortrag in Stralsund zusammenzufassen. Leider haben wir es 2024 nicht geschafft, unseren Beitrag zu veröffentlichen. Das Thema hat sich inzwischen erweitert, weil wir im September einige weitere Originalschauplätze des Reiseberichtes – Verona, Padua, Vicenza und Venedig – besucht haben. Man wiederholt Goethes Reise nicht. Es handelt sich nur um den Versuch einer Aktualisierung der Erfahrung.

Besonders gefallen hat uns dieses Jahr Venedig. Wir waren gespannt, ob die Touristenmassen ein originäres Erleben ermöglichen. Zweifellos verändern die gewaltigen Ströme von Besuchern die Stadt. Früher veränderte die Lagunenstadt – wie eine breite Facette von Reiseliteratur verdeutlicht – die Reisenden. Im September war die Lage eher entspannt. Statt des geplanten Kurzbesuches verlängerte sich unser Aufenthalt auf fünf Tage.

Anfang November hat uns dann nochmals die Reiselust gepackt. Wir waren noch nie so spät im Jahr unterwegs. Die Route führte über Kroatien, Bosnien und Albanien nach Griechenland. Fasziniert von den völlig unterschiedlichen geschichtlichen, politischen und religiösen Perspektiven in den Regionen ist unsere Liste von lesenswerten Schriftstellern deutlich angewachsen. Wir glauben, dass Goethes Idee einer verbindenden Weltliteratur ein hochaktueller Gedanke ist. Denn es geht um mehr als nur Toleranz gegenüber anderen Kulturen, nötig ist Respekt.

Griechenland im November war zum Abschluss des Reisejahres eine einmalige Erfahrung. Wir lieben es, in den Straßencafés in der Sonne zu sitzen, Leute kennen zulernen und an den Stränden steht man bequem mit dem Wohnmobil. Es gibt erstaunlich wenig Verbotsschilder in dem Land.

Das antike Griechenland mag inzwischen ein großes Museum sein, aber wir spürten die Präsenz von metaphysischen Fragen und staunten in den Nächten über die unvergessliche Konstellation am klaren Sternenhimmel.

Warum reisen wir? Manchmal nur um in der Sonne zu sitzen, einen Cappuccino zu trinken oder einen Spaziergang zu unternehmen. Uns interessieren Menschen, die ankommen, über die soziale und ökonomische Problematik unserer Zeit nachdenken und den Versuch wagen, Alternativen zu etablieren. Vielleicht suchen wir unbewusst nach der wahren Heimat, ein Ort, der Solidarität, Freiheit und ein höheres Bewusstsein ermöglicht.

In Stralsund ist es inzwischen kalt und neblig. Wir stehen vor einem neuen Jahr und sehnen uns nach der Fortsetzung der Odyssee. Im Moment lesen wir ein Buch von Claudio Patrini, das die Symbole und Bedeutungen der Welt Homers erklärt. Es finden sich einige Sätze in der Abhandlung, die zum Nachdenken anregen.
Ein Beispiel:

„Die Etappen der Reise des Odysseus sind die Gelegenheiten, bei denen er mit den vom unterscheidenden Verstand erzeugten Erscheinungen konfrontiert wird, und es gelingt ihm, die Gefahren zu überwinden, gerade weil er sich des illusorischen Charakters dessen bewusst ist, was für die meisten Menschen die Wirklichkeit darstellt.“

P.S.

Wir wünschen Euch allen ein gutes neues Jahr!

Die Blogeinträge über die oben genannten Reiseziele findet ihr auf unserer Website.