Rückblick: Musée du Balzac

Gibt es so etwas wie den perfekten Ort? Auf dem Weg vom Loiretal zum Atlantik verfahren wir uns. Die Straße ist blockiert und zwingt uns zu einem Umweg, zufällig entdecken wir ein Schild mit dem Hinweis „Musée du Balzac“. Das kleine Gutshaus in Saché, mit seinem von Licht durchfluteten Garten gehört sicher nicht zu den großen Sehenswürdigkeiten der Region, mit seinen über 1000 prachtvollen Schlössern. Aber, ja, für uns ist es an diesem sonnigen Tag der perfekte Ort.

Das Haus ist liebevoll renoviert und das kleine Museum führt in die Atmosphäre Frankreichs des 19. Jahrhunderts ein. Im Mittelpunkt der stilvolle Salon, Treffpunkt von Adligen, Musikern und Dichtern. Hier hat der französische Schriftsteller Balzac, der hier einige Wochen verbrachte und über eine eigene Kammer verfügte, die Gäste des Hauses unterhalten. „Ich bin froh, hier zu sein, wie ein Mönch in einem Kloster“ schreibt er an seine große Liebe aus der Ukraine: Frau Hanska.

Hier sind Teile seines Werkes, Dutzende Bücher mit 573 wiederkehrenden Charakteren, die ein einmaliges Sittengemälde schaffen und die menschliche Komödie seiner Epoche abbilden, entstanden. Die schöpferische Kraft dieses Mannes ist beeindruckend, das Arbeitspensum gewaltig. Balzac’s Arbeitstage beginnen oft nach Mitternacht, nächtelang schreibt er wie im Rausch, bis in den Morgen hinein, dann nimmt er ein Bad, ein kleines Frühstück, verfasst Briefe und korrigiert seine Druckfahnen bis in den späten Mittag.

Seine Energie gewinnt er aus dem Konsum unzähliger Tassen Kaffee. Über seine Inspirationsquelle schreibt er: „Die Folge davon ist eine allgemeine Aufregung: die Gedanken kommen in eine Verwirrung, wie die Bataillone der großen Armee auf dem Schlachtfelde, und die Schlacht findet eben statt. Die Erinnerungen stürmen im Laufschritt eines heftigen Angriffes mit fliegenden Fahnen“.

Im Buchladen des Museums kaufen wir die Biografie Stefan Zweigs über dieses Genie, und – mit zwei Tassen Kaffee ausgestattet – setzen wir uns unter einen Ahornbaum. Wir sind alleine hier, der Garten mit seinen Blumenbeeten ist mit einer Steinmauer eingefasst. Für uns gibt es keinen Grund zur Weiterreise.

Wir lesen einige Passagen aus dem Meisterwerk Zweig´s. Balzac erscheint in seinen Schilderungen als eine faszinierende Gestalt, die durch seinen Willen geprägt ist. Er ist ein Napoleon der Feder, aber ein tragisch erfolgloser Geschäftsmann. Er gründet eine Druckerei, tätigt Grundstücksgeschäfte oder plant den Betrieb einer Mine in Sizilien. Seine Ideen sind durchweg ökonomisch sinnvoll. Nur, nichts gelingt ihm, er wird immer ärmer, die Profite streichen andere nach seinem Bankrott ein.

Sein Schicksal bleibt von Schulden und Gläubigern bestimmt, ein Jahrzehnt lang schreibt er aus Geldnot heraus Literatur auf Bestellung und erst spät erscheint sein eigener Name auf seinen Büchern. Jedes Werk ist meist schon vor der Vollendung verpfändet. Er träumt von einer großen Liebe, einer Heirat, die nebenbei seine Finanzprobleme löst. Erst kurz vor seinem Tod erfüllt sich dieser Traum in einer Ehe mit einer vermögenden, ukrainischen Adligen. Seine Hinterlassenschaft ist eine einmalige Beschreibung unzähliger Figuren aus allen Schichten der Gesellschaft. Was wir uns heute unter dieser Epoche vorstellen, vieles davon stammt aus seiner Feder.