Rückblick: Granada

Eine Woche haben wir auf dem Campingplatz in Granada verbracht und nicht nur dort einige Reisende kennengelernt. Die Stadt ist ein Sehnsuchtsort und Schmelztiegel der Kulturen. Im Jahr 1910 besuchte der Maler Henri Matisse die Alhambra und lässt uns an seiner Begeisterung teilnehmen: „Granada ist so ergreifend, dass alle Sinne sich auflösen und dahinschmelzen“. Seine Erfahrung ist zeitlos.

Gerne wandern wir die steilen Gassen des Albaicins hinauf, hören Musikern auf den kleinen Plätzen zu und bewundern die Häuser im maurischen Stil. Obwohl wir hier zum ersten Mal vor dreißig Jahren waren, haben immer wieder das Gefühl einen neuen Weg einzuschlagen. Das Viertel pulsiert heute wie früher, wenn auch die Immobilienpreise inzwischen ins Unerschwingliche gestiegen sind.

Auf dem Platz San Nicholas trifft sich die Welt und bewundert die Sonnenuntergänge vor dem Hintergrund der Alhambra und der Sierra Nevada. Die Kirche und die neue Moschee der Stadt sind hier einige Schritte voneinander entfernt und stehen heute für ein friedliches Miteinander.

Cees Nooteboom, der niederländische Meister der Reiseliteratur, beschreibt die Szene: „Die rötlichen Mauern der Alcazaba, deren Tönung sich von Stunde zu Stunde verändert, die geordneten Gärten rings um mich, der angefressene Backstein der Festungsmauern, der bei bestimmte Sonnenlicht zu bluten scheint…“

Sein Text „Abschied von Granada – der Blinde und die Schrift“, der sich in dem Buch „Reisen durch die islamische Welt“ findet, gehört zum Besten, was wir gelesen haben. Die Beschreibung seines Besuches in der Alhambra im Jahr 1992 zeigt nicht nur die sprachliche Meisterschaft des Autors. Er lässt den Leser an einer Metamorphose teilnehmen.

Nach einem Aufenthalt in der Wintermoschee von Teheran war er zunächst der Ansicht, dass arabische Kunst unmenschlich sei, weil sie weder Gesichter noch Gestalten darstellt, an denen er sich festhalten konnte. Jahre später, in seinem Besuch im Löwenhof der Alhambra, erkennt er eine andere Dimension der Erkenntnis: die Schrift.

Was er zunächst für Verzierungen an einem Brunnen hält, zeigen sich ihm bei genauerem Hinsehen als Worte. Er entdeckt „einen in sich selbst nachlaufenden, in sich selbst zurückfließenden Arabeskenstrom“. Nicht nur die Welt bewegt sich, sondern ebenso die Schriftzeichen, die sie beschreiben. Der Raum erklärt sich hier, so schließt der Schriftsteller, durch das Geschriebene. Die Liebe zur Weltliteratur verknüpft die Menschen jenseits ihrer Herkunft oder Konfession.

Wir verlassen die Stadt immer wieder mit dem Entschluss bald zurückzukehren.