„Reisen werden wie Künstler geboren und nicht gemacht. Tausend verschiedene Umstände tragen dazu bei, wenige davon gewollt oder durch den Willen bestimmt – was auch immer wir denken mögen.“ (Lawrence Durrell, bittere Limonen)
Es gibt aus touristischer Sicht wichtigere Ort wie das kleine Städtchen Sommières. Der Ort liegt zwischen Nîmes und Montpellier am Fluss Vidourle an einer alten Brücke und wird von der im 13. Jahrhundert erbauten Burg, mit ihrem auf quadratischem Grundriss errichteten Wehrturm überragt. Wir entdeckten die Stadt an einem warmen Herbsttag und liefen durch die engen Gassen, die regelmäßig von einem Hochwasser überflutet werden, den Burgberg hinauf. Die Aussicht von diesem Ort, verspricht ein Reiseführer, umfasst die ganze Camargue. Die alte Holztür fanden wir verschlossen vor und von dem davor gelegenen kleinen Plateau aus sahen wir allein in den blauen Himmel.
Es gibt einen weiteren Grund, das Städtchen aufzusuchen, hier wohnte der englische Schriftsteller Lawrence Durrell (1912-1990). Am nächsten Morgen besuchten wir das Kulturzentrum, das den Namen des Engländers trägt. Hier findet man, neben einem alten Klavier aus dem Privatbesitz, drei Schautafeln mit Lebensstationen des Mannes. Seine Bücher über Zypern, Rhodos und Korfu begründeten seinen Ruhm als Reiseschriftsteller, bevor er in den 50er Jahren in die Provence übersiedelte.
„C´est tout“ bestätigte uns eine Angestellte. Mehr gab es hier nicht zu sehen. Auf der Touristeninformation fanden sich keine weiteren Spuren, aber immerhin, die Auskunft, wo sich das Lieblingscafé und die Villa des Dichters befanden. In der Route de Saussines kreisten wir, wie um eine imaginäre Insel, um das von einer Mauer eingehegte Grundstück, ein Kleinod, von der eine Palme in den Himmel ragt.
Zurück in Deutschland besorgen wir uns im Antiquariat das Buch „in der Provence“ und erhoffen uns Einblicke in das Leben, das sich Durrell von dieser sagenumwobenen Region erhoffte. „Ich bin wie alle anderen vor langer Zeit hergekommen, um in Liebe zu entbrennen oder zu erkalten“ schreibt er in seiner Einführung. Und er erwähnt das Licht, dem nichts gerecht wird – weder Kamera noch Pinsel. Die Provence, so wird dem Leser schnell klar, ist für ihn kein konkreter Ort, eher eine Idee, ein Schmelztiegel verschiedenster Kulturen, ein Flickenteppich, von den Spuren der Vergangenheit geprägt. So schafft er eine impressionistische und poetische Collage, erzählt von Griechen und Römern, bis hin zu den Zeitgenossen, die er hier trifft.
Jerome ist eine dieser wichtigen Begegnungen, eine Art Obdachloser, ein Clochard, Mitglied der großen Bruderschaft der Schelme, Grübler und Querdenker, die in dieser Zeit überall in der Provence zu beobachten waren. Durrell erzählt, dass diese Menschen von der Bevölkerung respektiert wurden. „Schnurrbärtige Herren, die in Wahrheit unsere Philosophen waren, die sich aus der normalen Gesellschaft verabschiedet hatten, um in beinahe religiöser Zurückgezogenheit ihren Tod neu zu definieren, solange noch Zeit dazu war.“
Die Voraussetzungen einer Ansiedelung waren damals für mittellose Künstler günstig. Er ist in der Lage mit wenig Geld ein würdiges Zuhause zu bauen. Später, nach den Erfolgen in seinem Beruf, erwirbt er die Villa in Sommières. Diese Umstände wandeln sich bald dramatisch. In den 90er Jahren beschreibt der, millionenfach gelesene Bestsellerautor Peter Mayle in dem Buch „Toujours Provence“ die neue Situation auf dem Immobilienmarkt: „Die Preise sind aufgebläht wie der Bauch nach einer Mahlzeit mit drei Gängen; selbst in der kurzen Zeitspanne unseres Aufenthaltes haben wir Preisentwicklungen erlebt, die mit dem Verstand – und den Glauben – nicht zu fassen sind.“
Geld und Massentourismus verändern den Sehnsuchtsort zunehmend. Ein Leben in der Provence muss man sich im 21. Jahrhundert leisten können. Durrell erinnert in seinem persönlich und subjektiv gehaltenen Buch an die eigentliche Essenz, die er in seiner Wahlheimat gefunden hat: die Liebe. Neben der einmaligen Erfahrung der Atmosphäre, Land und Leuten, ist es die alte provenzalische Sprache, die ihn fasziniert. Die höfische Dichtung des Mittelalters, mit ihrer tiefen Verehrung für die Frauen, das Leben, den Tod, eingebettet in die symbolische Suche nach einem Gott, fesseln ihn. Der Trubel auf den verstopften Straßen, der sich in seiner Zeit ankündigt, lenkt ihn davon nicht weiter ab.
Literatur:
Lawrence Durrell, In der Provence, Schönling & Co., 1998
Peter Mayle, Toujours Provence, Knaur Verlag, München