„Arme-Leute-Häuser“

Die Trulli in Alberobello, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts vergessene „Arme-Leute-Häuser“, sind eine der größten Touristenattraktionen Apuliens. Durch das weiträumige geschlossenes Viertel, das gänzlich mit den Bauwerken bebaut ist, strömen Besucher aus aller Welt. Bei dem Aufenthalt gefällt uns der Postkartenblick auf die Szenerie, aber mehr fasziniert uns die Idee der Wohnform an sich.

Die mobilen Anlagen waren in der Vergangenheit eine Art Steuersparmodell: Im 17. Jahrhundert beauftragte Graf Giangirolamo II. Acquaviva d’Aragon, diese Häuser zu errichten. Da er keine Steuern an die Regierung in Neapel zahlen wollte, forderte er von den Bauern, ihre Gebäude ohne Zement und Mörtel nur aus Steinen entstehen zu lassen. Eine geniale Idee, denn im Falle einer königlichen Inspektion baute man die Steinhäuser ab, um sie später wieder leicht wiederzuerrichten. Heute sind viele, aufwendig renovierte Trulli in der Region, begehrte Ferienhäuser.

Die Idee des alternativen, mobilen Wohnens – sei es in Wohnmobilen, Tiny-Häuser oder Nomadenzelten – ist heute in aller Munde. Auf unseren Reisen entdecken wir immer mehr Campingplätze, die von Dauercampern bewohnt werden. Seltener finden wir Stellplätze, die zum Beispiel Reisefahrzeuge, kleinere Holzhäuser und Zelte arrangieren und einen Versuch darstellen, soziale und ökonomische Notwendigkeiten gemeinsam zu erfüllen.

Auf unserem Rückweg aus Apulien besuchen wir das Bauhaus-Museum in Weimar. Die Idee Kunst und Technik, Handwerk und Wohnen in einer solidarischen Gesellschaft zu verknüpfen, gehört zu den Gründungsgedanken dieser Institution. Man entwarf Modelle für die Modernisierung des klassischen Einfamilienhauses, plante aber bereits größere Anlagen, mit Gemeinschaftsgebäuden und sozialen Einrichtungen. In der Ausstellung fällt uns ein Zitat von Walter Gropius aus dem Jahr 1925 auf: „Vielleicht sind mobile Wohngehäuse, mit deren Hilfe wir alle Bequemlichkeiten eines wirklichen Wohnkomforts sogar bei jedem Ortswechsel mit uns nehmen könnten, gar keine allzu ferne Utopie mehr.“

In Sphären III erzählt der Philosoph Peter Sloterdijk die Entwicklung einer modernen Philosophie der Architektur. Am Beispiel des Architekten Le Corbusier und seiner Idee der „Wohnmaschine“ wird die Auflösung der traditionellen Allianz von Haus und Sesshaftigkeit deutlich. In den zwanziger Jahren schreibt er: „Man muss das Haus wie eine Maschine oder ein Werkzeug zum Wohnen betrachten…ein Haus wie ein Auto konzipiert und eingerichtet wie ein Auto oder eine Schiffskabine.“ Die neuen großen Wohnblöcke, die bald auf der ganzen Welt entstehen, gleiche sich und sind nur lose an ihr historisches Umfeld angeknüpft.

In dieser Zeit wird parallel mit Wohnwagen, Containern und Zelthäusern experimentiert. Sloterdijk formuliert die Grundidee wie folgt: „Das mobile Haus definiert sich als wandernde architektonische Monade, die ihrem Einwohner darin kongenial geworden ist, dass das Haus wie der Besitzer sich auf Freiheit der Kontextwahl berufen.“

Und heute? Fakt ist, ein Eigenheim zu bauen oder nur eine Wohnung zu halten, verschlingen beachtliche Ressourcen und die Finanzierung wird schnell zum einzigen Lebensinhalt. In den Großstädten werden etwa 29 Prozent des Einkommens für Mieten aufgebracht. Hinzukommt der Mangel an Wohnraum, ein Phänomen, das längst ein Politikum ist. Heute ist die Lage am Wohnungsmarkt angespannt, viele Berufstätige ziehen um – durchaus nicht freiwillig – und sind auf der verzweifelten Suche nach möglichst billige Wohnungen.

Es ist kein Wunder, dass viele Menschen von einem freieren Leben in ihrem Van oder Wohnmobil träumen. Nur, in der Campingwelt spiegeln sich die sozialen Unterschiede, Luxus und Not, genau wie in der gesamten Gesellschaft. Reisen wird teurer, der Preisdruck auf den Stellplätzen steigt und die romantische Vision, in der Natur mit Gleichgesinnten zu parken, wird immer schwieriger umsetzbar. Im Trend sind Ideen, die über die kurze Nachbarschaft zwischen parkenden Wohnmaschinen hinausweisen. Gesucht sind künftig Orte, an denen sich das Reisen, die Lebenskunst und ökonomische Interessen – zumindest zeitweise – neu verknüpfen lassen,

Literatur:

Peter Sloterdijk, Sphären III, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2004