Der Schriftsteller José Saramago begegnete uns zum ersten Mal bei unserem Aufenthalt in Mafra. In dem Nationalpalast mit seinen hunderten Zimmern, einer Bibliothek und einer Kathedrale lasen wir auf einer Hinweistafel, dass der Nobelpreisträger ein Buch über die Entstehungsgeschichte des Bauwerkes verfasst hat. Saramago erzählt dabei das Schicksal der tausenden Arbeiter, die in jahrelangen Mühen das gigantische Schloss gebaut hatten.
In Lissabon besuchen wir die Stiftung des Schriftstellers, erfahren mehr über die Herkunft des Autors aus einfachen Verhältnissen, sehen uns Bilder an, in der er, ein bekennender Kommunist, auf Oskar Lafontaine und Fidel Castro trifft. Zu unserer Überraschung bietet der angeschlossene Buchladen eine reiche Auswahl seiner Werke in deutscher Übersetzung an. Eine willkommene Fügung. Wir wählen seine „portugiesische Reise“ aus, ein Bericht über eine monatelange Expedition Saramagos durch seine Heimat.
Gute Bücher sind unserer Ansicht nach ideale Reisebegleiter. Im Vorwort seines Reisebuches erklärt der Schriftsteller, dass er keine Marschroute empfiehlt oder Reisetipps gibt: „der Autor war dort, wo man immer hinfährt, aber auch dort, wo eigentlich nie jemand hinfährt.“ Kurzum, der Erzähler lässt sich treiben, schildert Landschaften und Menschen, erzählt Episoden, Geschichten und Anekdoten oder nimmt den Leser in seine Stimmungen, irgendwo zwischen Glück und Melancholie, mit. So entsteht ein atmosphärisches Bild, ein Portugal, das sich im Beobachter spiegelt, ein Bekenntnis zur Kultur des Reisens, die immer eine Entdeckungsfahrt ist.
Der Erzählstil Saramagos zieht den Leser in den Bann, zumindest wenn er geduldig ist. Immer wieder besucht der Reisende, ein intellektueller Atheist, auf seiner „Wallfahrt“ Kirchen und Klöster und bewundert die Kunstfertigkeit der Erbauer. In Räumen, in denen Chorgesänge und feierliche Gebete gehören, fühlt er sich ein wenig fehl am Platz, „wie auf der Suche nach der eigenen Dimension.“ In kaum einer Stadt lässt er das städtische Museum aus, entdeckt dort große Kunstwerke, aber ebenso Kleinigkeiten, die er mit Bedeutung füllt. Ehrfürchtig schildert er in präzisen Worten die Wasserlandschaften, Bergketten und Täler, die das Land mit ausmachen.
„Der Reisende“, erklärt er, „ist jemand, der kommt und geht und dabei sieht, was ist, und aus diesen kurzen Blicken, die nur oberflächlich sein können, später Erinnerungen an Tieferes holen muss.“ Das ganze Buch ist immer wieder unterbrochen mit den Einfällen, lakonischen oder ironischen Kommentaren des großen Erzählers.
So lesen wir Seite auf Seite, mit dem Vorteil, dass die Gegenden im Norden Portugals, die wir leider nicht aufsuchten, imaginär vor unseren Augen erscheinen. Oder, wir freuen uns auf die Orte im Süden, die auf der Strecke liegen und meisterhaft beschrieben sind. Dabei erinnern wir uns an die Empfehlung des Autors, keine Liste von Sehenswürdigkeiten abzuarbeiten, sondern selbst herauszufinden, was uns bewegt oder berührt.
Mit Erstaunen entdecken wir in dem Reisebuch eine längere Passage über einen kleinen Ort, der uns bei unserem Besuch ähnlich in den Bann gezogen hat wie, einige Jahrzehnte früher, den Autor der portugiesischen Reise. Der Burgberg von Marialva wird wie folgt beschrieben:
„Über diesem Platz, wo die Zisterne und der Säulenpranger stehen, schwebt zwischen Licht und Schatten ein stilles Murmeln. (…) Und es ist das Ganze, diese Ansammlung von Ruinen, das Geheimnisvolle, das sie verbindet, die Präsenz der Menschen, die hier einst lebten, dass den Reisenden plötzlich tief ergreift, ihm den Hals zuschnürt und ihm Tränen in die Augen treibt.“
Im Nachwort liest man: „Die Reise geht nie zu Ende. Nur Reisende erleben ein Ende. Und selbst sie können in Memoiren, Berichten, Erzählungen fortdauern.“
Literatur:
José Saramago, die portugiesische Reise, Atlantik Verlag