Die Heimat Flaubert’s

Nachdem wir im vergangenen Winter den Klassiker Madame Bovary von Flaubert gelesen haben, besuchen wir die Heimat des Schriftstellers: Rouen. Unseren Hausschuh haben wir in Pont de l´Arche auf einem kleinen idyllischen Campingplatz abgestellt. Schon beim Verlassen des Bahnhofs erinnert uns der erste Eindruck an eine Passage im Buch über die Stadt: „Amphitheatralisch abfallend und in Nebel gehüllt, wuchert sie jenseits der Brücken, weiter im Verschwommenen“.

Rouen war für Madame Bovary das vermeintliche Tor zur großen Welt, eine unermessliche Metropole, ihr „Babylon“. Ihre Flucht aus der Provinz hat einen konkreten Grund: Sie verdrängt ihre unerfüllten Ehe und beginnt ein Liebesabenteuer mit dem jungen Leon. Die Leere in ihrem Alltag werden die amourösen Beziehungen nicht auflösen, stattdessen wird ihr Dasein von Konsum und einigen Illusionen geprägt sein. Ihr Leben endet tragisch mit ihrem Selbstmord.

Vor dem Besuch der Kathedrale lesen wir nochmals einige Seiten. Die Kirche ist der Schauplatz für ein Treffen des Liebespaars, während Leon sich nach körperlicher Nähe sehnt, ist Emma unentschieden, ob sie das Abenteuer eingehen will. Sie betet, wandert mit einem Reiseführer durch die heiligen Hallen und fordert so die Geduld ihres Bewunderers heraus. Flaubert ist mit seiner meisterhaften Beschreibung und zahlreichen Anspielungen ein Provokateur. Das Buch wird ihm eine Anzeige wegen Sittenverstoßes einbringen. Die Begegnung der beiden mündet in eine Pferdekutsche, einer langen Tour durch Rouen, mit heruntergezogenen Vorhängen.

Ein Gang durch die Gassen der Provinzhauptstadt, mit seinen gotischen Gebäuden und Fachwerkhäusern, ist überaus lohnend. Wir wandern bis zum Museum Flaubert, das sich in einem Krankenhaus befindet, dem Geburtsort des Schriftstellers. Hier hat der Vater des Künstlers als Arzt praktiziert. Die düstere Atmosphäre seiner Kindheit, nah an Tod und Krankheit, die Gustave prägt, wurzelt hier. Das Museum ist ein Kuriositätenkabinett mit Zahnarztstühlen und medizinischer Einrichtung des 19. Jahrhunderts. Leider ist der Landsitz der Familie, wo Flaubert seine berühmten Romane verfasst hat, von Industriebauten verdrängt worden. In Croisset, schrieb sein Freund Guy de Maupassant, liebte er es, „die stumme Bewegung der großen Schiffe zu betrachten, die auf dem Fluss dahinglitten und nach all den Ländern reisten, von denen man träumt.“

Natürlich lassen wir es uns nicht nehmen, den Marktflecken Ry, in der Nähe von Rouen zu besuchen. Der Ort bildet die Vorlage für Yonville l´Abbaye, dem Wohnsitz der Eheleute Bovary, im Buch. Obwohl es im Roman heißt, dass es dort nicht viel zu sehen gibt, gefällt uns das unspektakuläre, verschlafene Dorf. Die Örtlichkeiten, das Haus von Emma und Charles, die Apotheke, die Kirche und Gasthaus lassen sich klar erkennen. Die Absicht Flaubert’s, so verstehen wir, war es, ein Sittenbild der Provinz zu schaffen und nicht einen bestimmten Ort zu beschreiben. Sein Roman hat die Herzen der Menschen in ganz Europa bewegt.