Goethe, ein Reisender

Im Hof des Goethehaus in Weimar stehen wir vor einer alten Kutsche, die symbolisch an eine der wichtigsten Tätigkeiten des Dichters erinnert: das Reisen. Etwa vierzigtausend Kilometer hat Goethe in seinem Leben bewältigt, zu Lande oder zu Wasser, zu Fuß und zu Pferd, mit dem Postwagen, mit Kahn und Schiff. Eine unglaubliche Energieleistung.

Wichtige Erkenntnisse und Einsichten seiner Reisen, über Leben, Natur und Kunst, die auf tausenden Seiten verschriftlicht sind, sammelte er bei einsamen Spaziergängen durch den Weimarer Ilm-Park und auf abenteuerlichen Fernreisen. Die Grundeinsicht des Wanderers ist immer dieselbe: „Willst du ins Unendliche schreiten, / Geh nur im Endlichen nach allen Seiten.“

Um zu begreifen, dass der Himmel überall blau ist, braucht man nicht um die Welt zu reisen“ stellt Goethe in seinen Maximen fest. Es sind zwei Aspekte, die uns an seinem Reisestil fesseln: die Bereitschaft zur Veränderung und die Offenheit für Neues.

Auf seiner Italienreise schreibt er am 2. Dezember 1786 an seine platonische Liebe, Charlotte von Stein: „Mit dem neuen Leben, das einem nachdenkenden Menschen die Betrachtung eines neuen Landes gewährt, ist nichts zu vergleichen. Ob ich gleich noch immer derselbe bin, so mein ich bis ins innerste Knochenmark verändert zu sein.“

„ Für Naturen wie die meine, die sich gerne festsetzen und die Dinge festhalten, ist eine Reise unschätzbar, sie belebt, berichtigt, belehrt und bildet“ erklärt er seinem Freund Schiller. Es geht ihm nie darum, nur äußerlich in Bewegung zu sein, sondern genauso um die Erfahrung innerer Freiheit. Der Sinn der Expedition besteht in der Selbstbildung und der Metamorphose.

Bei unserem Gang durch das Haus erinnern Farben, Bilder und Erinnerungsstücke an die zahlreichen Reisen des Dichters. Das Wohnhaus am Frauenplan, das die Lebenskunst Goethes repräsentiert, ist selbst ein Ergebnis seiner Zeit in Italien. Der Heimkehrende veränderte mit dem gewonnenen, neuen Bewusstsein seine Umgebung.

Zweifellos war Goethe ein Reisender – ein Aussteiger war er nie. Das ökonomische Dilemma seiner Existenz und die Abhängigkeit von den Zuwendungen des Fürsten Carl August war ihm zeitlebens bewusst.

Literatur:
Arnd Rühle, mit Goethe reisen, Insel Taschenbuch, Frankfurt 2009