Kann man göttlich bauen? Goethe scheint dieser Idee gegenüber nicht abgeneigt gewesen zu sein, wie wir in den entsprechenden Passagen der italienischen Reise nachlesen. Schon in Weimar beschäftigte sich der Dichter mit dem Werk des großen Architekten der Renaissance, Palladio. In Vicenza – wo sich einige seiner schönsten Bauwerke befinden – schreibt er in sein Tagebuch: „Es ist wirklich etwas Göttliches in seinen Anlagen, völlig wie die Force des großen Dichters, der aus Wahrheit und Lüge ein Drittes bildet, dessen erborgtes Dasein uns bezaubert.“ Die kühnen Projekte des Architekten, der – nach eigener Aussage – die Welt verändern wollte und die Absicht, die Ideale der Antike zu aktualisieren, erklärt die Wahlverwandtschaft zwischen dem Dichter aus Weimar und dem Architekten.
Goethe folgt bei seinem Aufenthalt in der Stadt einer Einladung der Akademie der Olympier und ist auf der Versammlung begeistert, dass Palladio besprochen wird und nach so viel Zeit immer noch „als Polarstern und Musterbild“ von seinen Mitbürgern verehrt wird.
Wir besuchen in der Stadt das Olympische Theater, das erste nachantike frei stehende Theatergebäude in Europa und die Basilika Palladiana, ein beeindruckendes öffentliches Gebäude, das keine Kirche ist, sondern eine Markt- und Gerichtsstätte. Natürlich trinken wir auch einen Cappuccino nicht unweit vom Hauptplatz der Stadt und lernen dort zufällig den Pianisten Paolo Zanarello kennen. In einer kleinen Gasse hat er sein Klavier aufgebaut und unterhält die überraschten Café-Gäste mit klassischer Musik. Diese Erfahrung bestärkt uns in dem Eindruck, dass diese faszinierende Stadt bis heute eine große Bühne der Kunst ist.
Eine der Höhepunkte des Schaffens Palladios besuchen wir am nächsten Tag: die unweit von der Stadt wunderschön gelegene Villa Rotonda. Goethe beschreibt dieses Meisterwerk wie folgt: „Es ist ein viereckiges Gebäude, das einen runden, von oben erleuchteten Saal in sich schließt. Von allen vier Seiten steigt man auf breiten Treppen hinan und gelangt jedes Mal in eine Vorhalle, die von sechs korinthischen Säulen gebildet wird. Vielleicht hat die Baukunst ihren Luxus niemals höher getrieben.“ Der Schriftsteller hat recht, wie wir finden, wenn er urteilt, dass das Gebäude nicht wirklich wohnlich ist, eine merkwürdige Mischung zwischen einem sakralen Bau, beinahe wie eine Kirche und seinen antiken Vorbildern darstellt. Goethes Eindrücke vor Ort finden sich später einem berühmten Gedicht verewigt, wo die Erwähnung des Hauses an die Italienreise des Schriftstellers erinnert und im Roman Wilhelm Meister zur Heimat von Mignon wird:
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl? Dahin! Dahin Möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!
Kennst du das Haus? auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du es wohl? Dahin! Dahin Möcht’ ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.
Das Konzept der Villen, die Palladio in seinem Leben schuf, ist durchaus modern. Die Häuser sollen „Rückzug ermöglichen und der Gesundheit und Meditation dienen“ und gleichzeitig die Vorzüge des Landlebens herausstreichen. Hinzu kommt eine ökonomische Anbindung, die sich in den Nebengebäuden der angeschlossenen landwirtschaftlichen Betriebe zeigen. Da Venetien zu dieser Zeit befriedet ist, gleichen die Landhäuser nicht mehr den gewohnten Trutzburgen.
Vom Palladio-Fieber angesteckt entdecken wir auf unserer Weiterreise einige seiner berühmtesten Gebäude in Venedig, darunter die Kirchen IL Redentore und St. Giorgio mit ihren berühmten Fassaden. Und – nachdem wir den Eintrag vom 2. Oktober 1786 in der italienischen Reise studiert haben – wollen wir natürlich das Klostergebäude „Carita“ sehen (heute der Sitz des Museums Accademia). Wir besichtigen nicht nur die ausgestellten Kunstwerke, sondern auch die, wie Goethe schreibt, „schönste Wendeltreppe von der Welt“. Allerdings ist die Treppe im Moment nicht begehbar.
Goethe studierte – bevor er in Venedig eintraf – die Pläne der ganzen Anlage, erwartete ein Wunderwerk und war ein wenig enttäuscht, dass in der Realität nur ein kleiner Teil der architektonischen Pläne des Genies umgesetzt wurde. „Du liebes Schicksal, dass du so manche Dummheit begünstigt und verewigt hast, warum ließest du dieses Werk nicht zustande kommen!“
Die Werke Palladios knüpfen an unsere Besichtigung der Wörlitzer Parkanlagen an, wo unsere Reise nach Oberitalien begann. Das Schloss gilt als Gründungsbau des deutschen Klassizismus und ist eines der wenigen Bauwerke des deutschen Palladianismus. Der Bauherr, Franz von Sachsen-Anhalt und sein Architekt, Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, bereisten gemeinsam Italien. Es versteht sich von selbst, dass die künstlichen Landschaften in Wörlitz von einem Dichter bewundert wurden: Goethe.
Literatur:
Johann Wolfgang von Goethe, Italienische Reise, CH Beck Verlag, München 2017
Howard Burns, Villa Economy, Palladio Museum, 2017