Wir verbringen (leider ohne den Hausschuh) ein paar Tage in einer unserer Lieblingsstädte: Istanbul. Die Metropole am Bosporus, mit ihrer bewegten Geschichte, ist ein Schmelztiegel der Kulturen, eine Symbiose zwischen Ost und West, Europa und Asien.
Immer wieder beeindruckend ist der Spaziergang über die Galata-Brücke, die das goldene Horn überspannt und schöne Aussichten auf den Bosporus, die Altstadt und ihre Moscheen bietet. Das Bauwerk wurde 1912 für 350000 goldene Lira von einer deutschen Firma errichtet. Unter ungeklärten Umständen brannte die Brücke 1992 ab und wurde durch einen Neubau, mit zahlreichen Restaurants, ersetzt. Hier erlebt man die ganze bunte Vielfalt der Menschen, die jeden Tag durch die Stadt wandern.
Wir besuchen am anderen Ende der Brücke den alten ägyptischen Markt aus dem 16. Jahrhundert. In unmittelbarer Nachbarschaft zu einer großen Moschee erbaut, erinnert das Bauwerk an den zivilisatorischen Zusammenhang zwischen den sakralen Gebäuden und den Marktplätzen dieser Welt. Die Bauherrin war die Frau des damaligen Sultans. Die Infrastruktur, die traditionell in Form einer Stiftung in öffentlicher Hand ist, verband die Stadt mit der Seidenstraße. Vor allem Gewürze, Kräuter und Süßigkeiten kauft man hier. In der osmanischen Zeit diente das Angebot zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung.
Heute ist das Wirtschaftsleben der Türkei – wie überall in der Welt – von großen Banken, Monopolen und Supermärkten dominiert. Wir grübeln, wie die Menschen hier mit einer Inflationsrate von über 80% zu Recht kommt. Hinter der Moschee treffen wir uns mit einem Bekannten und stellen ihm diese Frage. Er lächelt und beschreibt seine Landsleute als Überlebenskünstler. Viele Türken besitzen Gold, betreiben kleine Nebengeschäfte oder schlagen sich mit Hilfe ihrer Familien durch. Die zahlreichen Restaurants der Altstadt sind wie immer gut besucht.
Istanbul ist nicht eine Stadt der Geschichte, hier werden auch Geschichten erzählt. Eine Fundgrube in dieser Hinsicht ist das Werk des Dichters Rumi. Natürlich hat unser Freund eine Erzählung parat. Sie handelt von einem vermögenden Händler, der sich auf eine Reise nach Indien begibt.
Er fragt nicht nur seine Geschäftsfreunde und Bekannten, was er ihnen aus dem fernen Land mitbringen soll, sondern auch seinen Papagei, der in einem Käfig eingesperrt ist. Der Vogel bittet ihn nur, seine Artgenossen in Indien von ihm zu grüßen. An seinem Ziel angekommen grüßt der Geschäftsmann einen Papagei, der daraufhin tot vom Baum fliegt. Er ist untröstlich über das Ereignis, kehrt zurück und erzählt seinem Haustier die Geschichte. Das Tier stürzt ebenso zu Boden. Der Händler erschrickt, nimmt die vermeintlich tote Kreatur aus dem Käfig und streichelt es. Der Papagei nutzt diese Gelegenheit und fliegt in die Freiheit.
Rumi erzählt diese Geschichte ausführlich in seinem Hauptwerk (Mesnevi) – einem poetischen Buch mit über 25.000 Versen – und deutet dem Leser zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten an.