Die Einen reisen, weil sie sie sich suchen; die Andern, weil sie sich verlieren möchten. (Friedrich Nietzsche, 1884)
Wir erfahren Licht und Schatten im Engadin, stehen unter dem Eindruck eines tragischen Unglücks. Ein Freund von uns ist bei einem Badeunfall in der Schweiz ums Leben gekommen. Das Ereignis lässt uns sprachlos zurück.
Trost finden wir auf einer Wanderung in der Bergwelt rund um Sils Maria. Der Spaziergang vom Campingplatz in Maloja, am See entlang in das Dorf, eröffnet einige der schönsten Ausblicke, die Europa zu bieten hat.
Grüne Wälder auf Geröll,
dem Tale zugeneigt,
dem See.
Spiegelungen, Welt und Zeit,
entstanden um zu vergehen.
Und wen das Schicksal bitter trifft,
Herz und Seel bestehen.
Der kleine Ort wurde berühmt durch den Philosophen Friedrich Nietzsche, der hier die Sommermonate zwischen 1881-1888 verbracht hat. Wir besichtigen in dem Museum das bescheidene Zimmer des Mannes, dessen Mission es war, den Einsturz der christlichen Metaphysik zu deuten. Nicht weit von seinem Arbeitsplatz empfing der Philosoph am See von Silvaplana seine Geistesblitze. Im Anhang zu den „fröhlichen Wissenschaften“ beschreibt er 1887 den Einfall der Kunstfigur Zarathustra, dem Verkünder der schockierenden Nachricht, dass Gott tot sei.
Hier saß ich, wartend, wartend, wartend, – doch auf Nichts,
Jenseits von gut und Böse, bald des Lichts
Genießend, bald des Schattens, ganz nur Spiel,
Ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.
Da plötzlich, Freundin! wurde eins zu Zwei –
Und Zarathustra ging an mir vorbei….
Am Nachmittag sitzen wir am Silsersee, vor uns grast friedlich eine Herde Kühe, auf einer Bank. Die Kulisse ist einmalig. Der See, eingerahmt von Bergen und am Morgen noch spiegelglatt, ist in Bewegung geraten. Im Hintergrund läuft die Perspektive auf den Maloja-Pass zu, dahinter liegt das Sehnsuchtsland Italien. Am dunkelblauen Himmel ziehen die Wolken vorbei. Man hört nur das Geläut der Glocken.
Glocken erscheinen als ein wiederkehrendes Motiv im Werk Nietzsches. Die Bedeutungen sind wechselhaft: Zum Beispiel dienen sie als ein Mittel der Ankündigung eines überraschenden Widerspruchs, oft markieren sie die Akzentuierung eines Anfangs, eines Übergangs oder Abschlusses.