Lieblingsort im Südwesten

Nach der Reise in das tropische Malaysia verbringen wir einige Tage im Schwarzwald, wandern auf einsamen Feldwegen und genießen die Ruhe. Auf dem Programm steht auch ein Besuch in einem unserer Lieblingsorte in Südwestdeutschland: Badenweiler. Im Februar wirkt der Ort, berühmt wegen seiner warmen Thermalquelle, verschlafen. Unterhalb der Burg sieht man auf die Weinberge und über die Rheinebene hinweg bis in das benachbarte Elsass.

Der Schriftsteller René Schickele (1883-1940) hat mit seiner Dichtung „Himmlische Landschaften“ der Region ein Denkmal gesetzt. Der Autor war lebenslang der deutsch-französischen Freundschaft verpflichtet. Im Vorwort beschreibt er die Atmosphäre seiner Wahlheimat:

„Es ist, seitdem das Elsaß wiederum zu Frankreich gehört, eine Dreiländerecke. Hier wachsen Pappel, Edelkastanie und Rebe. Es gibt Pinien und Zypressen, ein dem Ort seitlich vorgelagerter Hügel, den heute ein Buchenwald bedeckt, heißt der Ölberg, weil die Römer, die auch die Rebe hierher brachten, dort ihre Ölbäume stehen hatten.“

Schickele empfängt in Badenweiler das Licht des Südens, seine Gedanken schweifen immer wieder in Richtung der Provence. Wir erinnern uns an das tragische Schicksal des Dichters, der, wie viele andere seiner Schriftstellerkollegen, vor den Nationalsozialisten nach Südfrankreich floh. Sein Name war uns auf der Frankreichtour im September, im berühmten Exil deutscher KünstlerInnen, Sanary-sur-Mer, begegnet.

Im Ort besuchen wir ein kleines literarisches Museum, das an die zahlreichen Philosophen, Schriftsteller und Künstler erinnert, die hier Erholung und medizinische Betreuung erfuhren. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht der russische Dichter und Dramatiker Anton Tschechow, der nach einem Kuraufenthalt 1904 in Badenweiler starb. Olga Knipper beschreibt in ihren Memoiren seine letzten Minuten wie folgt:

„Kurz nach Mitternacht wachte er auf und bat erstmals in seinem Leben selbst darum, einen Arzt zu holen […] Es kam der Doktor, verfügte, ein Glas Champagner zu bringen. Anton Pawlowitsch setzte sich auf und sagte irgendwie bedeutungsvoll, laut zu dem Arzt auf deutsch: ‚Ich sterbe…‘ Dann nahm er das Glas, wandte sich zu mir, […] sagte: ‚Lange keinen Champagner mehr getrunken …‘, trank [das Glas] in aller Ruhe aus, legte sich still auf die linke Seite und war bald für immer verstummt.“

Der „sanfte Radikale“ (Gerhard Bauer) beeindruckte Generationen durch seine subtile und sensible Dichtung. Seine scheinbar belanglosen Alltagsepisoden zeigen die Fragwürdigkeit großer Ideen und Visionen, die Skepsis gegenüber jeglicher Ideologie und zeichnen sich durch eine Nähe zum Relativismus unserer Zeit aus.

Thomas Mann verehrte den Schriftsteller und widmete ihm 1954 den Essay „Versuch über Tschechow“, indem er ihn als geistig-seelisch verwandten Zeitanalytiker feierte. Besonders faszinierte den deutschen Nobelpreisträger eine Szene aus der „langweiligen Geschichte“, in der ein weltberühmter greiser Gelehrter von seinem Mündel in einer existentiellen Notlage um Rat gefragt wird. Die Antwort des Meisters fällt lapidar aus: „Ich weiß es nicht.“ Mann gefiel die Bescheidenheit des Künstlers, der zwar wichtige Fragen stellt, aber dem Leser niemals das Nachdenken abnimmt.

Der Spaziergang führt uns zurück an das Kurhaus. In der Sonne ist es schon warm, wir sitzen auf einer Bank und lassen die Gedanken Richtung Süden schweifen.

Literatur:

René Schickele, Himmlische Landschaft, Oase Verlag, Badenweiler 2007