Parkplätze

Es ist eines der ungewöhnlichsten Bücher der Reiseliteratur: „Die Autonauten auf der Kosmobahn“. Das Schriftstellerpaar Julio Cortazar und Carol Dunlop, beide sterbenskrank, reisen in den 80er Jahren mit ihrem VW Bus von Paris nach Marseille. Ihre Expedition folgt ihren eigenen Regeln, sie verlassen zu keinem Zeitpunkt die Autobahn und besuchen 63 Parkplätze für jeweils einen halben Tag. Die Fahrt wird über 6 Wochen dauern. Ihr Reisebericht ist ein surreales Dokument, voller Witz, Ironie und tiefsinnigen Betrachtungen. Der Leser wird auf eine Reise mitgenommen, die die üblichen Vorstellungen von Raum und Zeit auflöst.

„Die Zeit ätzt sich in den Raum, verändert ihn; wir können uns schon jetzt keinen wesentlichen Unterschied mehr zwischen diesem Rastplatz und den letzten vorstellen, die uns einen Tag vor dem Ende der Expedition erwarten.“

Die Parkplätze werden nicht etwa monoton erfahren, sondern zeigen sich als Orte der Vielfältigkeit, sie sind kleine Mikrokosmen. Die beiden Schriftsteller entdecken die Natur, Menschen und andere Merkwürdigkeiten, sie träumen und lassen die Dinge auf sich wirken. Die Autobahn wird zu einem langen, stillen Fluss. Unbewusst folgen sie dem Grundsatz der Surrealisten, dass das Wunder, jenseits der Sehenswürdigkeiten der Reiseführer, überall zu entdecken ist, zumindest dann, wenn das Herz und die Sinne dafür geöffnet sind. In der Unabhängigkeit von Ort und Zeit entfaltet sich ein Zustand der Freiheit.

„Die Symptome der Autobahn – Monotonie, Zeit und Raum als Obsession, Ermüdung – existieren für uns nicht, kaum sind wir drauf, verlassen wir sie schon wieder, vergessen sie für fünf, zehn Stunden, für eine ganze Nacht.“

Auf unserer Reise nach Spanien wählen wir spontan einen Parkplatz, um die Eindrücke des Buches an einem Originalschauplatz auf uns wirken zu lassen. Wir fahren an den sanitären Einrichtungen vorbei und suchen, einem Rat der Autoren folgend, nach einer ruhigeren Ecke. Sie findet sich am Ende der Anlage. Hier führt ein kleiner Steinweg zu einem Baum und einer Bank. Nach einer Weile ahnen wir den Zauber, den jeder Ort in sich trägt. Wir beobachten Vögel, hören den Lastwagen zu, die an uns vorbeidonnern, und nicken den Reisenden zu, die hier eine Pause machen. Das Schlusskapitel des erstaunlichen Buches, das Julio Cortazar alleine zu Ende schreiben muss, seine Frau ist inzwischen gestorben, lesen wir hier, irgendwo an der A7. Wir verbringen so zwei angenehme Stunden unter der Sonne Südfrankreichs.