Zu den unvergesslichen Erinnerungen an Griechenland gehört für uns eine beschwerliche Wanderung auf den Olymp in den 80er Jahren. Schon aus körperlichen Gründen könnten wir diese Expedition nicht mehr wiederholen. Wir erinnern uns an den Aufstieg wie an ein Gleichnis: Nach Stunden erreichten wir erschöpft – ohne, dass das Erlebnis eines bemerkenswerten Ausblicks gewährt wurde – eine Bergstation und kämpften mit uns, ob wir die letzte, steile Strecke auf den Gipfel versuchen sollten. Nach der Überwindung der inneren Widerstände brachen wir erneut auf und wurden am Ziel mit einer einmaligen Aussicht auf das Meer und die Bergwelt belohnt. Diese Augenblicke, jenseits der profanen Dinge, hinterließen tiefe Spuren in unserem Bewusstsein.
Unweit von Kardamili, auf der Halbinsel Mani, stehen wir eher zufällig vor dem Haus des Reiseschriftstellers Patrick Leigh Fermor. Die Bücher des Engländers kennen wir nicht, aber wir schließen aus der geheimnisvollen Lage des Anwesens, versteckt auf einem Hügel mit Olivenhainen und mit der Aussicht auf eine Bucht, dass hier eine außergewöhnliche Figur gelebt hat. Leider ist die Haustür verschlossen und die hohen Steinmauern, die das Grundstück umgeben, gewähren keinen Einblick in die Anlage. Die Besichtigung, es ist eine elektronische Anmeldung nötig, ist erst in zwei Tagen möglich.
Die Wartezeit, bei 22C im November, ist keine große Prüfung. Das Wohnmobil steht in idealer Lage am Strand des Ortes. In einem Straßencafé sitzen wir in der Sonne und recherchieren ein wenig im Internet über den Schriftsteller, der uns zu diesem Aufenthalt führte. „Erinnerung und Gegenwart verschmelzen in seinen Büchern“ erfahren wir in einer Biografie.
Der Lebenslauf von Patrick Leigh Fermor (1915-2011) liest sich wie ein Abenteuerroman. In jugendlichem Alter bricht er mit seinem Umfeld und entschließt sich zu einer berühmten Wanderung, die ihn in den 1930er Jahren von Rotterdam bis Konstantinopel führt. Jahrzehnte später, 1977, veröffentlicht er den ersten Teil einer Trilogie über seine Erlebnisse: „Die Zeit der Gaben“. Wir rufen nach einer Zauberhand, die dieses Buch auf den Tisch legt! Leider ist der örtliche Buchladen geschlossen, in dessen Schaufenster wir sein Werk entdecken, das der Halbinsel Mani gewidmet ist.
Zwei Tage später macht uns ein freundlicher Mann die Tür auf. Wir treten in den Hof ein, sehen das Hauptgebäude und ein gegenüberliegendes Gästehaus. Der Garten gewährt über verschiedene Blickachsen die Aussicht auf das Meer und die Landschaft. Die Wege sind mit Mosaiken aus tausenden kleinen Steinen gepflastert und führen zu Sitzecken, die eine intensive Gesprächsatmosphäre ermöglichen. Kloster, Rückzugsort, Tempel, Gasthaus ist die Assoziationskette, mit der wir die Bedeutung dieses Ortes zu fassen versuchen. Im geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmer ist eine Sitzecke, eine Bibliothek, eine Feuerstelle und ein Schreibtisch versammelt. Zweifellos bewegen wir uns hier in einem Gesamtkunstwerk, das zu den schönsten Häusern gehört, die wir je gesehen haben.
Der Aufenthalt für Besucher wird kurz gehalten. Das Gebäude ist heute eine Stiftung, die jungen Schriftstellern ermöglicht, hier ungestört zu arbeiten. Bevor wir wieder zu unserem Wohnmobil zurückkehren, erwerben wir in einem kleinen Laden eine Festschrift über das Leben des Engländers, der in Griechenland einige Jahrzehnte verbracht hat. Seine Verbundenheit zu dem Land bestätigen verschiedene Texte von Zeitgenossen, die in griechischer und englischer Sprache verfasst sind. Auf den Bildern sieht man sie im Gespräch mit dem Gastgeber. Es werden Geschichten erzählt. Legendär ist die Rolle des Autors bei einer Geheimdienstoperation zur Unterstützung des Widerstandes auf Kreta im 2. Weltkrieg. Er entführte damals mit Partisanen einen deutschen General.
Im Dezember ist es in Stralsund neblig und kalt. Nach unserer Rückkehr sind wir in den Modus der „Zimmerreise“ gewechselt und lesen gespannt die ersten beiden Bände der Reiseberichte, die wir inzwischen besorgt haben. Die Lektüre ist faszinierend, da der Autor sein umfangreiches Wissen, das er jahrzehntelang über die Sprachen, Geschichten und Mythologien der bereisten Regionen gesammelt hat, mit den Berichten der Abenteuer seiner Jugend vermischt.
Die Route führt ihn an den beiden großen Flüssen des Kontinents, den Rhein und die Donau entlang. Der Wanderer erlebt eine Zeitenwende: Europa steht vor dem Krieg, die alten Werte sind im Untergang, die Aristokratie erwartet ihren Zerfall und die Technik verändert langsam die gewohnten Verhältnisse. Über Rotterdam schreibt er: „Bis auf diese eine Kirche ging die wunderschöne Stadt nur wenige Jahre darauf im Bombenhagel unter. Hätte ich das geahnt, wäre ich länger geblieben“.
Die Absicht des Autors – er reist, um zu schreiben – erfüllt sich in diesen Reisejahren. Der Stoff über seine Metamorphose wird ihn ein Leben lang beschäftigen. Er übernachtet in Ställen und Schlössern, begegnet Bauern, Handwerkern und Akademiker, lernt ihre Sprachen und trifft auf die Eliten seiner Zeit. „So kam es, dass ich mich nach einer weiteren Nacht im Kuhstall, diesmal bei Riedau, in der darauffolgenden im Eckturm eines Schlosses wiederfand und mich in einer Badewanne mit den gigantischen Maßen früherer Jahrhunderte räkelte, eingehüllt in den Duft der Tannenzapfen und den Kiefernscheiten, die in dem gewaltigen kupfernen Badeofen brüllten wie Löwen in ihrem Käfig.“
Naturbeschreibungen, Anekdoten und allgemeine Geschichtsbetrachtungen fließen in den großen Strom dieser einmaligen Erzählung ein. Fermor verfügt über ein ungeheures Gedächtnis. Die Einübung dieser Fähigkeit beschreibt er wie folgt: „Auf langen, gerade Straßen. Wo sich die Landschaft sich nur langsam veränderte, vertrieb ich mir oft mit Singen die Zeit und wenn mir die Lieder ausgingen, rezitierte ich Gedichte.“
Im zweiten Band, zwischen Wäldern und Wasser, erzählt er von Freundschaften, von Ankunft und Abschied und einer großen Liebe. Die Kulturlandschaften Ungarns und Rumäniens beschreibt er so mitreißend, dass wir beschließen, bei nächster Gelegenheit, in diese Regionen zu reisen. Kein Wunder: Reisebücher, die es lohnen, gelesen zu werden, entfalten genau diese Wirkung. Dabei vergessen wir nicht, dass viele der Stationen, die der Schriftsteller auf seiner Odyssee besuchte, durch den Gang der Geschichte und die technologische Entwicklung kaum mehr zu erkennen sind. Nicht zuletzt ist es die Donau selbst, die durch Begradigungen und Kraftwerke einen Gestaltwandel erlebte und zu einem Energielieferanten mutierte.
Die Vergangenheit lässt ich nicht wiederholen. Man wird auf einer solchen Reise seine eigenen Perlen finden.
Literatur:
Patrick Leigh Fermor, The Journey continues, Mouseio Benaki, Athens 2021
Patrick Leigh Fermor, Die Zeit der Gaben, Dörlemann Verlag, Zürich 2005
Patrick Leigh Fermor, Zwischen Wäldern und Wasser, Dörlemann Verlag, Zürich 2006