In Praia de Mira stehen wir auf dem städtischen Campingplatz und brechen zum Strand auf. In Sichtweite des Empfangs versuchen wir uns, zu orientieren und fragen uns, ob es nicht einen direkten Zugang zum Meer gibt. Ein Nachbar aus der Schweiz beobachtet die Lage, springt voller Hilfsbereitschaft aus seinem Stuhl auf und winkt. Der Mann erklärt, im unnachahmlichen Dialekt seiner Region, nicht nur den Weg. Er ruft uns zur Eile auf, sonst:
„Verpassen sie das Spektakel!“
„Das Spektakel?“
„Ja“ so der Schweizer „um 13h holen die Einheimischen mit ihren Traktoren die Netze ein. Dass müssen sie sehen!“
Wir bedanken uns, schauen auf die Uhr und laufen eilig zum Meer. Die Fischer holen gerade die Netze ein. Um sie steht eine Traube von Einwohnern und Touristen, einige von Ihnen mit Tüten in der Hand. Alle sind gespannt auf den Fang. Die Arbeitsvorgänge sind hier klar abgestimmt, die Männer und Frauen zischen sich Anweisungen zu, die Atmosphäre ist ernst. Das Netz, in denen eine ganze Schar kleiner Fische zappelt, ist schnell eingeholt. Wir werden Zeugen der ersten Verkaufsgespräche. Ein Teil des Fanges wird in Boxen gesammelt und auf Anhänger verladen.
Zu uns hat sich der Schweizer gesellt und gibt den Fischen Namen. Er ist nicht nur ein Experte, er scheint fasziniert über dieses Ritual am Atlantik, vermutlich aus der Konträr-Faszination des Bergbewohners heraus.
„Schon beeindruckend!“
„Irgendwie sakral“, antworten wir, mangels eines besseren Wortes für das Geschehen, das auf den Beobachter eine archaische und religiöse Wirkung entfaltet. Der Mann fixiert uns, wie jemand, der verstanden hat:
„Ja sakral! Genau!“
Damit verabschieden wir uns. Am anderen Ende des Dorfes, an der Lagune, setzen wir uns in ein Straßencafé. Der Zufall will es, dass der Hinweisgeber, diesmal mit Begleitung, dort auftaucht. Die Unterhaltung dreht sich um den Fischfang in der Region. Da wir nur kleine Fische registriert haben, wird gemeinsam spekuliert, ob der spärliche Fang ein Zeichen unserer Zeit sei. Die Frau erwähnt, dass sie ein altes Bild gesehen habe, auf diesem seien Kühe statt den Traktoren im Einsatz. Für eine Nachfrage bleibt kein Raum, da sich das Paar verabschiedet.
Auf dem Weg an der Lagune entlang zum Campingplatz entdecken wir ein kleines ethnografisches Museum. Am Eingang, im hier ansässigen Tourismusbüro, gibt ein gutmütiger Portugiese gerne Auskunft. Er spricht nur kein Wort Englisch oder Spanisch. Die Frage nach dem Bild mit den Kühen lässt sich in der uns unbekannten Sprache nicht vermitteln. Schnell sind unauflösliche Missverständnisse im Raum. Wir treten den Rückzug an, aber, im letzten Moment, finden wir die passende Gestik, die die Tür zum Museum im 1. Stock öffnet.
Und, in der Sammlung findet sich das gesuchte Bild. Uns scheint es, als seien die Fischer vom heutigen Tage bei der Arbeit zu sehen. Allein der Einsatz der Kühe, statt der Traktoren, spricht gegen diese These. Unter der Fotografie lesen wir einige Sätze eines portugiesischen Dichters: Raul Brandao.
Man kann gegen die moderne Technik einwenden, was man will, manchmal ist sie hilfreich. Wir recherchieren im Netz, dass der Schriftsteller am Anfang des 20. Jahrhunderts gelebt hat und ein Beobachter der sich abzeichnenden Modernisierung des Landes war. In seinem Buch „die Fischer“ hat er die typischen Charaktere des alten Lebens in Portugal beschrieben und ihnen ein Denkmal gesetzt. Der Fischer ist für den Dichter eine Gestalt, die, um ihr Dasein zu sichern, die Gefahr des Todes in Kauf nimmt. Gerd Hammer schreibt in einer Rezension für die Süddeutsche Zeitung über das Werk des „stillen Reisenden“: „Wer mit diesem Buch, das kein Reiseführer ist, in der Hand durch das Portugal von heute fährt, werde Brandao’s Blick oft bestätigt finden.“
Uns gefällt der Fang dieses Tages. Wir haben ein neues Buch für die Leseliste gefunden. Inzwischen hat eine Bekannte uns eine Nachricht mit der Übersetzung der Zeilen unter dem Bild gesendet: „Die Frauen und die gierigen Matrosen schnappen sich das Netz, ziehen es aus dem Wasser, schleifen es über den Sand und hinterlassen grüne Spuren“.
Am Abend laufen wir am Meer entlang und entdecken in der Ortsmitte, neben der kleinen Kirche, ein Denkmal für die Fischer. Die Widmung auf dem Sockel des Kunstwerkes stammt ausgerechnet aus der Feder Brandao’s:
„Das Leben ist hier keine Lüge und jeden Tag riskieren sie es…, unter der Haube des Himmels, mit Gott und dem Meer.“