Unterwegs zu Hause?

Ein Haus ist noch kein „Zuhause“. (Deutsches Sprichwort)

Für den Architekten Norberg-Schulz bedeutet ‚Wohnen‘ – wie er es definiert: – einen ‚existentiellen Halt‘ in seiner Umwelt finden. Dieser ‚Halt‘ entstehe für den Menschen, „wenn er sich in einer Umgebung orientieren und mit ihr identifizieren kann, kurz, wenn er seine Umgebung als sinnvoll erlebt.“ Die Sinnsuche und die freie Entscheidung für die Wohnform ist heute durch einen wachsenden ökonomischen Druck erschwert. In Europa ist der Van oder das Wohnmobil für viele dauerhaft Reisende längst das Symbol der Sehnsucht nach einer alternativen Lebensform.

Die Gründe, sich für eine andere Idee des Zuhauseseins zu entscheiden, sind offensichtlich: Ein kleines Haus im Grünen oder eine Altbauwohnung in der Großstadt, für viele Menschen in Deutschland sind diese Träume nicht mehr zu finanzieren. Die Lebenshaltungskosten steigen in Inflationszeiten in existenzbedrohende Höhen. Im Jahr 2020 lebten rund 36,91 Millionen Personen zur Miete und wendeten 2022 durchschnittlich 27,8 % ihres Einkommens für ihr Zuhause auf. Warum die gesamte Lebensenergie für eine bescheidene Wohnung und ihre Nebenkosten aufbringen?

Im aktuellen SPIEGEL („Unter Siedlern“) lesen wir einen Bericht über einen Campingplatz in Sachsen-Anhalt und die neue Wohnform von Mitbürgern, die nicht mehr mithalten wollen beziehungsweise können. Neben den Urlaubern und Freizeitcampern haben sich hier Dauercamper endgültig eingerichtet. Die Motivation ist unterschiedlich, man genug von den steigenden Kosten und dem Frondienst für die kleine Wohnung, oder, es ist schlicht die soziale Not, die hierher führt. „Ein Müssen fühlt sich immer anders an als ein Wollen“, fasst der Artikel die Gemütslage der Aussteiger aus dem Wohnungsmarkt zusammen.

Campingplätze, die von Dauercampern benutzt werden und eher wie kleine, bunte Dörfer oder Kleinstädte wirken, haben wir in Portugal und Frankreich besucht. Die wenigen Stellplätze für fremde Wohnmobile sind hier oft ein Alibi, um davon abzulenken, dass die festen Einrichtungen mit den Bauverordnungen der Länder in Konflikt geraten.

Jessica Bruder hat in ihrem Buch „Nomaden der Arbeit“ die soziale Frage und „das Überleben in den USA im 21. Jahrhundert“ in einen Kontext gesetzt. „Manche nennen diese Bürger homeless“ schreibt sie. „Aber die modernen Nomaden lehnen diese Titulierung ab. Ausgestattet mit Obdach und Transportmittel, wie sie sind, ziehen sie eine andere Wertschöpfung vor: Sie bezeichnen sich schlicht und einfach als houseless“. Eine Faszination des Lebens auf der Straße, egal ob man digitaler Nomade oder Urlauber ist, liegt zweifellos in der Idee und in der Freiheit, sich in der ganzen Welt heimisch zu fühlen.

Das Reisen ohne einen festen Wohnsitz birgt die Gefahr der Vereinsamung. Uns scheint daher die Verknüpfung von virtuellen Communitys mit realen Begegnungen bedeutsam. Auf der Webseite cheaprvliving.com versucht der erfolgreiche Influencer Bob Wells die Bewegung zu organisieren. „Als ich die Seite im Jahr 2005 veröffentlichte, war mein primäres Ziel eine Gemeinschaft zu gründen und einen Weg zu finden Nomaden aller Altersgruppen und Hintergründe zusammenzubringen.“ Autoren wie Gary Snyder („Nature is not a place to visit. It is home“)oder Jack Canfield („Erveryting you want is on the other side of fear“) tragen zur Philosophie der Bewegung auf Rädern bei. Zudem listet die Seite Angebote und gemeinsame Aktivitäten für Camper in Amerika auf.

„My home is my Castle“? In Zeiten von Fernsehen und sozialen Medien ist der Rückzug in die eigenen vier Wände kaum möglich. Der Philosoph Emanuelle Coccia hat ein ganzes Buch der Praxis des Wohnens gewidmet. Grundlegend ist sein zeitgemäßes, offenes Verständnis des In-der-Welt-Seins: „In diesem neuen Raum, diesem weltumspannenden Zuhause, wird man zwangsläufig zum Kosmopoliten, denn es ist unmöglich geworden, eine lokale Identität zu beanspruchen. Kontinente und Nationen sind nur mehr Zimmer in einer einzigen großen Wohnung.“

Literatur:

Emanuele Coccia, Das Zuhause, Hanser Verlag, 2022, München
Jessica Bruder, Nomaden der Arbeit, Blessing Verlag, 2021, München