Inspirierende Reisen enden nicht bei der Heimkehr, man reist einige Zeit weiter. Man liest zum Beispiel die Bücher, die im Reisegepäck gefehlt haben, trinkt bevorzugt bei Sonnenschein einen Cappuccino oder isst beim „Italiener“ um die Ecke zu Abend. Genauso führt die Kunst in den Süden zurück. Oft sind wir in Stralsund am Olthofschen Palais, dem Haus der Welterbestätte, vorbeigegangen. Jetzt interessiert uns der „Hackertsche Tapetensaal“, der sich in der oberen Etage befindet.
In der italienischen Reise schildert Goethe seine Begegnungen mit dem Künstler, Jakob Philipp Hackert, der zu dieser Zeit, 1786, im Schloss von König Ferdinand von Neapel wohnte. Seine Landschaftsbilder aus der Region, darunter viele Darstellungen des Vesuv, prägen bis heute unsere Vorstellungen von Italien. Goethe ist fasziniert von der komfortablen Situation des Hofmalers am Golf von Neapel und bewundert mit einem Seufzen die Bilder des Genies: „Wenn es nur so leicht auszuführen wäre, wie es aussieht.“
Das Angebot des Meisters an seinen Schüler, „bleiben sie achtzehn Monate bei mir – so sollten sie etwas hervorbringen, was ihnen und andern Freude macht“ schlägt Goethe aus. Dichter und Maler blieben zeitlebens verbunden in der Idee, dass in der süditalienischen Landschaft „Arkadien“ – das Ideal der klassischen, antiken Atmosphäre – als gegenwärtig zu erfahren ist.
Der Aufenthalt des Künstlers am Sund ist in der Biografie Goethes über den Maler festgehalten: „Phillip Georg Hackert trat also im Juli 1762 in Gesellschaft des Porträtmalers Mathieu die Reise nach Stralsund an, wo er den Baron von Olthof mit Renovierung und neuer Einrichtung seines Hauses beschäftigt, antraf“. Die genauen Umstände des Aufenthaltes sind nicht dokumentiert.
Die Besichtigung des Tapetensaals desillusioniert uns zunächst. Hier sind keine Eindrücke aus Italien zu sehen, sondern Szenen der Sächsischen Schweiz. Und, wie wir von dem kompetenten Kunsthistoriker, der uns die Räume zeigt, erfahren, handelt es sich bei diesen Tapeten nicht um Werke des berühmten Malers. Sie sind erst später entstanden. Und – nebenbei erwähnt – der vermögende Geschäftsmann und Kunstmäzen von Olthof wohnte in diesem Haus nur zur Miete. Wir staunen: Das Imaginäre und das Reale begegnen sich immer wieder neu in der Welt der Kunst.
Auf Rügen besuchen wir das Gutshaus in Boldevitz. Im Haupthaus verbergen sich, der Öffentlichkeit nicht zugängliche Tapeten Hackert’s, die Ideallandschaften und Rügenmotive zeigen. Diese Werke wurden zwischen 1762 und 1764 im Auftrag des damaligen Eigentümers, Baron von Olthof, geschaffen. Norbert Müller sieht in den Bildzyklen den stilistischen Anspruch, „durch Parallelisierung und Querverweis aus mehreren Landschaften die Landschaft, die Natur zurückzugewinnen.“
Man kann sich leicht vorstellen, dass der Landschaftsmaler fasziniert war von der Möglichkeit eines Zusammenspiels seiner imaginären Werke mit der realen Gartenkunst vor Ort. Der Baron wurde bald von den ökonomischen Realitäten eingeholt. Nach einem Bankrott verkaufte der Kunstmäzen 1780 sein Gesamtkunstwerk.
In dem zauberhaften Park setzen wir uns auf eine Bank und genießen das Ambiente. Die vergangene Reise hat uns hierhergeführt und am Horizont tauchen neue, südliche Reiseziele auf.
Literatur:
Goethe, Italienische Reise, Verlag CH. Beck, 15. Auflage, München 2017
Norbert Müller, in Lehrreiche Nähe, Goethe und Hackert, Stiftung Weimarer Klassik, 1997