Nach der Definition des Dudens ist eine Raststätte, eine an der Autobahn gelegene, mit den auf die Bedürfnisse von Reisenden ausgerichteten Einrichtungen ausgestattete Gaststätte. Das Phänomen, man denke nur an die alte Verhaltung des Rastens im Straßennetz der Römer oder an die Karawanserei, hat eine lange Geschichte. Am 1. Mai 1936 wurde die erste Autobahntankstelle bei Darmstadt eröffnet, die neben Waschgelegenheiten einen Aufenthaltsraum für zehn Personen aufwies.
Heute ist die Autobahnraststätte ein Nicht-Ort, der, so Marc Augé, „keine organische Gesellschaft beherbergt“. Bei einem Durchschnittsaufenthalt von 15 Minuten, den wir zur Besorgung dringender Geschäfte benötigen, entsteht kein soziales Band unter den Reisenden aus aller Welt. Oft wandern wir gestresst und mit einem Tunnelblick durch diese Anlagen.
Wir lesen zu dem Thema eine „Liebeserklärung“, die der Fotograf Florian Werner der Raststätte gewidmet hat. Immer wieder sucht der Autor seinen Lieblingsort am grauen Band, Garbsen-Nord, auf. Philosophisch bezeichnet er die Schnittstelle zwischen Heimweh und Aufbruchstimmung als Raststättenweh. Auf seinen Exkursionen erforscht er die ökonomischen und kulturellen Hintergründe dieser Orte, wandert durch Biotope mit erstaunlicher Artenvielfalt und spricht mit Fernfahrern.
Er beobachtet das Verhalten der Menschen, deren Aufenthalt auf einer Raststätte nur ein Zwischenzustand ist, ein Moment der unfreiwilligen Entschleunigung. „Der Autofahrer“ schreibt Werner, „ist niemals ganz in der Gegenwart, sondern hat stets ein Ziel vor den Augen. Der Zug nach vorn, lässt auch den Reisenden bei der Rast nicht los.“
Das Buch erinnert an die berühmte Expedition von Julio Cortázar und seiner Frau Carol Dunlop. In seinem Werk „die Autonauten auf der Kosmobahn“ beschreibt der Schriftsteller die surrealen Erfahrungen des Paars auf einer Fahrt zwischen Paris und Marseille. Die Destination ist nicht etwa das Mittelmeer, sondern die 63 Rastplätze an der Strecke. Es wird ein Zustand beschrieben, „wenn man sich vom Ausgangspunkt entfernt hat und gleichzeitig das Ziel der Reise vollkommen aus den Augen verloren hat.“
Der normale Reisende wird bei seinem Aufenthalt an der Tanksäule kaum in einen Zustand der Meditation oder des philosophischen Fragens geraten. Dass dies möglich ist, zeigen beide Bücher.
Peter Sloterdijk vertieft dieses Thema in seinem Werk „den Himmel zum Sprechen bringen“. In seiner religionsphilosophischen Abhandlung taucht der Suchende auf, der ursprünglich unterwegs war, um höhere Einsichten zu erlangen. Der Philosoph weist auf „subtilere Formen“ des nachfragenden Strebens hin, die die Auflösung der Symmetrie von Suchen und Finden bewirken. Das Objekt der Suche (im Falle Cortázar´s die Stadt Marseille oder das Mittelmeer) wird entgegenständlicht. Mit anderen Worten: Der Weg ist das Ziel.
Die Aufmerksamkeit im Moment beschreibt Sloterdijk in einer wunderbaren Passage. Egal wo man sich konkret befindet, zum Beispiel auf einer Rastanlage, aktualisiert sich ein Subjektwechsel. Der Reisende bereichert sich nicht, indem er an einem Ziel ankommt, sondern er erfährt infolge der Suche selbst eine Metamorphose: „Wer sucht wird gefunden“.
Florian Werner beschreibt in seiner Liebeserklärung diesen Zwischenraum, ein Ort zwischen losfahren und ankommen.
Literatur:
Florian Werner, Die Raststätte, eine Liebeserklärung, Hanser Berlin 2021
Julio Cortázar, Die Autonauten auf der Kosmobahn, Suhrkamp Frankfurt, 2020
Peter Sloterdijk, Den Himmel zum Sprechen bringen, Suhrkamp Berlin, 2020